Neues Leiterehepaar im Lietz Internat Hohenwehrda
Seit dem 1. August 2021 ist Jörg Müller neuer Internats- u. Schulleiter im Lietz Internat Hohenwehrda. Seine Ehefrau, Sonja Müller, wird ihn dabei tatkräftig unterstützen. Welche Werte ihnen wichtig sind, wie die perfekte Balance zwischen Nähe und Distanz aussieht, warum Sport genauso wichtig ist wie Mathematik und was moderne amerikanische Literatur mit all dem zu tun hat - das erklären Sonja und Jörg Müller im Gespräch mit Martin Batzel.
Sehr geehrtes Ehepaar Müller, herzlich Willkommen im Lietz Internat Hohenwehrda. Wenn Sie sich zu Beginn des Gesprächs bitte charakterisieren möchten – wofür und für welche Werte stehen Sie als Leiterehepaar?
„Bei unserer pädagogischen Arbeit standen jenseits aller pädagogischen Leitlinien immer die Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt aller Überlegungen. Wir verstehen uns in erster Linie als Potentialentwickler, deren wichtigste Aufgabe es sein muss, ihren Schützlingen das Rüstzeug mitzugeben, das sie brauchen, um in der unglaublich komplexen und schnelllebigen Welt des 21. Jahrhunderts zu Lebensglück und Lebenserfolg zu finden. Dazu müssen sie zunächst erkennen, wer sie sind und was alles in ihnen steckt. Nur so werden sie zu den einzigartigen Persönlichkeiten, die in jedem Kind und Jugendlichen angelegt sind. Wir sind überzeugt davon, dass es dafür ständiger Rückmeldung von wohlmeinenden Erwachsenen bedarf, die sich nicht als beste Freunde, sondern als Mentoren verstehen und immer bemüht sind, die perfekte Balance zwischen Nähe und Distanz und zwischen Fördern und Fordern zu finden. Und da diese Prozesse auch immer Reibung erzeugen, muss erzieherische Konsequenz – und in direkter Verlängerung Ehrlichkeit, Offenheit und Gerechtigkeit – gerade in der Internatspädagogik wichtigste Grundlage des Handelns sein.“
Eine Internatsschule ist gleichzeitig auch ein Wirtschaftsunternehmen. Wie führt man erfolgreiche Pädagogik und wirtschaftliches Denken erfolgreich zusammen?
„Das scheint nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein. Natürlich ist es unabdingbar, das Profil einer Internatsschule zu schärfen und die Konzepte so weiterzuentwickeln, dass sie auch für die Zukunft tragfähig sind. Es bedeutet aber nicht, sich hinter Hochglanzbroschüren und unrealistischen Werbe-Claims zu verstecken, sondern selbstbewusst mit einer empathischen und sympathischen Gemeinschaft aufzutreten und Menschen vom großartigen Wert einer guten Internatserziehung zu überzeugen. Dafür stehen wir mit großer Begeisterung.“
Welches sind aus Ihrer Sicht die Vorzüge einer Internatsschule verglichen mit dem staatlichen Schulsystem?
„Eine Internatsschule wie Schloss Hohenwehrda kann nicht wirklich mit einer staatlichen Schule verglichen werden, schon alleine, weil sie eben keine Lern-Schule, sondern eine Lebens-Schule ist. Die intensive Gemeinschaft, die kleinen Gruppen, die persönliche Beziehung zwischen Jugendlichen und Erwachsenen, die vielfältigen Erfahrungen in der Natur, beim Lernen und Arbeiten, beim Sport und in der Kunst – Rahmenbedingungen, die eine staatliche Schule schlichtweg nicht bieten kann.“
Worin sehen Sie die wichtigste Grundlage für eine gute Internatspädagogik? Und: Was macht gute Internatsfamilieneltern/Mentoren aus, was einen guten Internatslehrer?
„Jede gute Internatsschule ist zunächst einmal eine Reflektion ihrer Schüler und Mitarbeiter, wobei im besten Fall das Ganze erheblich mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Jenseits einer soliden und jeweils aktuellen Ausbildung läuft es bei allen Mitarbeitern einer guten Internatsschule auf das Gleiche hinaus: Wer genuine Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hat, wer diese Arbeit als Lebensform statt als Job genießt, wer achtsam, emphatisch, neugierig und risikobereit ist und Vorbild sein kann und möchte, ist bei uns genau richtig – ganz gleich ob im Klassenzimmer, in der Heimfamilie, in Verwaltung, Küche oder Werkstatt.“
Welche Bedeutung haben bei Internatspädagogik die praktische Arbeit sowie die Bereiche Sport und musischer Zweig?
„Praktische Arbeit, Sport und Musisches müssen gleichberechtigten Platz im Tagesablauf der Kinder und Jugendlichen finden wie Mathematik und Deutsch. Für die Persönlichkeitsentwicklung haben sie überragende Bedeutung. Insbesondere die Theaterarbeit sollte unbedingter Bestandteil einer ganzheitlichen Erziehung sein.“
Wie sieht für Sie die optimale Form des schulischen Lernens aus? Und welche Rolle spielen bei der Optimierung des Lernens die digitalen Medien?
„Wir glauben, dass Lernen unbedingt individualisiert werden und fächer- und jahrgangsübergreifend stattfinden sollte und dem „Bulimie“-Lernen unbedingt der Kampf anzusagen ist. Dass dies in der heutigen Zeit nur mit einer sinnvollen Unterstützung durch digitale Medien wirklich gelingen kann, ist für uns selbsterklärend. Bezüglich der Digitalisierung von Lernprozessen sehen wir in Hohenwehrda durchaus noch dringenden Handlungsbedarf. Wir freuen uns auf die Herausforderung.“
Gedrucktes Buch oder eBook? Was nehmen Sie im Koffer mit in Ihren nächsten Urlaub?
„Nachdem wir uns lange bemüht hatten, dem gedruckten Buch treu zu bleiben, lesen wir nun seit doch schon 10 Jahren fast ausschließlich eBooks. Es ist einfach zu verführerisch, an jedem Ort dieser Welt eine ganze Bibliothek bei sich zu führen und jederzeit auf jedes Buch zugreifen zu können.“
Ihre Einschätzung bitte: Wirkt das gedruckte Wort fort?
„Das tut es ganz sicher. Wir haben uns immer bemüht, Kindern und Jugendlichen den unschätzbaren Wert des Lesens nahezubringen. Die Möglichkeit, mit einem Buch die Tür zu einer ganz anderen Welt aufzustoßen, sollte keinem Kind verschlossen bleiben. Lesen ermöglicht Erfahrungen, die ein Film oder ein Computerspiel nie vermitteln kann – und es macht neugierig und empathisch.“
Je ein Teenager und ein junger Erwachsener bitten Sie um Lesetipps: Welche Empfehlungen geben Sie?
„Als Anglist bin ich ein großer Fan moderner amerikanischer Literatur. Es gibt dort aktuell unendlich viele großartige Talente. Für Teenager würde ich die Romane von John Greene empfehlen – z.B. „Eine wie Alaska“ oder „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“. Für junge Erwachsene darf es dann auch etwas tiefgründiger sein. Zu meinen absoluten Favoriten gehören „Alles Licht, das wir nicht sehen“ von Anthony Doerr und „Der Distelfink“ von Donna Tartt. Andererseits sammeln wir aber auch Erstausgaben der Romane von Stephen King.“
Herzlichen Dank für das Gespräch!