Die Gründe für einen Internatsbesuch sind vielfältig

Dabei ist die häufig im Tatort gewählte Geschichte von Eltern, die ihre Kinder in ein Internat „abschieben“, ebenso verzerrt wie der im Cluburlaub ausgetauschte Glaube, alle englischen Internate seien Kaderschmieden, auf denen wohlerzogene Lords Shakespeare-Studien betreiben…

Denn die Gründe für einen Internatsbesuch in Deutschland sind so vielfältig wie das Leben selbst und zur Beruhigung aller Eltern, die eine solche Idee verfolgen wollen, seien hier beispielhaft Praxisfälle aufgeführt, die in den vergangenen 10 Jahren zum Besuch eines deutschen Internats führten:

  • Leonies Papa arbeitet bei einem Maschinenbauunternehmen, welches Ausrüstung für die Ölexploration herstellt. Endlich erhält er die Beförderung zum Leiter eines großen Landesvertriebs – in Lagos wird er das Geschäft für Nigeria aufbauen. Nach der Lektüre der Reisehinweise des Auswärtigen Amtes entscheidet die Familie, dass Leonie weiter in Deutschland zur Schule gehen soll. Sie wechselte auf ein Internat in der Nähe eines internationalen Flughafens.
  • Finn und Felix sind Jungs, wie sie im Buche stehen. Leider waren die letzten beiden Au-Pairs mit den 13jährigen Zwillingen überfordert. In einem Sportinternat waren sie gut aufgehoben.
  • Der Landkreis muss sparen und reduziert die Zahl der Busverbindungen. Dadurch verlängert sich Lauras Schulweg am Nachmittag auf bis zu 90 Minuten. Sie erklärt ihren Eltern: „Ich kann mein Leben besser nutzen, als jede Woche 5 Stunden im Bus zu sitzen.“ Sie bewarb sich erfolgreich auf ein Stipendium der Dornierstiftung.
  • Alina darf für ein Jahr auf ein Englisches Internat. Sie genießt die Gemeinschaft mit anderen und die Freiheit und kann sich eine Rückkehr in die Obhut der besorgten Mutter nicht vorstellen. Doch den Eltern ist es wichtig, dass Alina das Abitur ablegt. Daher kehrt sie nicht an ihre alte Schule zurück sondern geht nun auf ein Internat in Norddeutschland.
  • Die Mutter von Lisa erkrankt an Krebs, mehrere Chemo-Therapien und Operationen stehen an. Die Eltern wollen nicht, dass die Kinder jeden Tag mit dem Kampf gegen die Krankheit konfrontiert werden. In einem guten Internat in 2 Stunden Entfernung Lisa neue Freunde gefunden und die Mutter kann sich ohne schlechtes Gewissen der Therapie widmen.
  • Jonas und den Mathematiklehrer Herrn D. verbindet seit Klasse 5 eine innige Abneigung. Dann passiert es: Unerwartet wird Herr D. in Klasse 10 zum Klassenlehrer von Jonas Klasse ernannt. Er wechselt auf ein Internat.
  • Irgendwann fing es an: Ein abgewiesener Verehrer nannte Michelle in verletztem Stolz „Molly“ – und dabei blieb es, alle fanden das witzig. Aus der lebenslustigen selbstbewussten Tochter wurde ein Mädchen, das sich unter den Hänseleien der Mitschüler immer weiter zurückzog und nicht mehr das Haus verlies.
  • Moritz Vater ist erfolgreich: Aus einem kleinen Elektronikgeschäft formte er ein Unternehmen mit über 100 Angestellten, der größte Mittelständler im Dorf. Moritz Mitschüler teilen sich in zwei Gruppen: die Speichellecker, die ihm alles nachmachen und die Anderen, die nur darauf warten, dass der „Sohn vom Chef“ einen Fehler macht. Im 200km weit entfernten Internat kennt niemand „Elektro Müller“…
  • Felix und die Hausaufgaben, es ist ein ewiger Kampf, den Mama Christiane da führt. Irgendwann hat sie die Nase von den Streitereien voll. Seit Felix ein Internat besucht, können die Eltern mit ihrem Sohn auch wieder in Urlaub fahren, ohne dass permanent über die Schule gezankt wird.
  • Kerstin hat ein Studium der Volkswirtschaft mit Prädikat abgeschlossen und anschließend die Prüfung zum Steuerberater/Wirtschaftsprüfer abgeschlossen. Nun sind beide Kinder auf dem Gymnasium und Kerstin möchte voll zurück in den Job – ihr Unternehmen bietet ihr eine Führungsposition, die allerdings mit mehrtägigen Dienstreisen verbunden ist.
  • Es hat nicht geklappt: Trotz Paartherapie geht es nicht mehr weiter und die lange Zeit glückliche Ehe verwandelt sich in einen schmutzigen Rosenkrieg. Die Großeltern sehen die Kinder zwischen den Fronten und übernehmen die Kosten eines Internatsbesuchs.
  • In der Kleinstadt Y gibt es nur ein Gymnasium. Vor zwei Jahren ging der langjährige Schulleiter in Ruhestand, der Nachfolger erkrankte nach 4 Monaten und seitdem ist die Position vakant. Jetzt hat sich die Stellvertretung wegen Überlastung versetzen lassen, die Hälfte des Kollegiums befindet sich in Bewerbungsprozessen. Maximilian informiert sich bei Arbeiterkind über Schülerstipendien an Internaten und hat Erfolg.
  • Hoch motiviert zogen Philipp und Emma mit ihren Eltern in die Schweiz: nur 30 Minuten bis zum nächsten Skigebiet! Womit sie nicht gerechnet hatten waren die Vorbehalte, die viele Schweizer gegenüber eingewanderten Deutschen haben – der Schulbesuch wurde zur Qual, Freunde fanden sie keine.
  • Schon die Großeltern und Eltern waren im Internat mit dem schönen Schloss. Nach einer der jährlichen Ehemaligentreffen, den Jan wieder mit Anna, der Tochter von Internatsfreunden seiner Eltern verbrachte, erklären die beiden: „Wir bleiben jetzt hier.“
  • Lena fühlt sich in ihrem Internat sehr wohl, aber sie vermisst ihre beste Freundin. Völlig überrascht sind die beiden, als deren Eltern dem Vorschlag: „Komm doch auch!“ zustimmen.
  • Leon interessiert sich sehr für Technik und Mathematik macht ihm viel Spaß – leider ist er damit der Einzige in seiner Klasse. Da gibt ihm sein Lehrer eine Bewerbungsbroschüre von plus-MINT und Leon meistert die Auswahltagung. Die Eltern haben Sorge, was die Finanzierung angeht, aber Dank Schüler-BAföG wird auch diese Hürde gemeistert.
  • Durch einen tragischen Unfall ist Alexandra Witwe geworden. Nach dem Abitur studiert der ältere Sohn in den USA, sie möchte zurück in ihren Beruf. Daher verkauft sie das Haus, wechselt in eine neue Stadt und finanziert mit dem Erlös der Tochter die letzten drei Schuljahr an einem sehr guten Internat.
  • Nach dem Verkauf des Familienunternehmens zieht Familie Q. endgültig nach Mallorca. Doch die Kinder sollen noch einen guten Schulabschluss in Deutschland erreichen. Daher ermöglichen die Qs ihren Kindern ein Internat.
  • Toms neuer Freundeskreis ist nicht gerade das, was sich ihre Eltern so vorstellen: chillen, trinken, abhängen, rauchen (was auch immer?). Auch Tom sieht ein, dass ihm seine Freunde nicht gut tun, aber er kommt nicht von ihnen los. Ein Internat in der Schweiz ist weit genug entfernt und Tom bekommt die Kurve.

Jens-Arne Buttkereit