Smartphone & Kind: Zwischen Faszination und Verantwortung
In einer immer stärker digitalisierten Welt stehen Eltern und Schulen vor der Herausforderung, Kindern und Jugendlichen einen sinnvollen Umgang mit Smartphones und sozialen Medien zu vermitteln. Doch wie gelingt es, Kinder in ihrer digitalen Selbstständigkeit zu fördern, ohne sie Gefahren und Risiken auszusetzen? Eine Info-Veranstaltung der Zinzendorfschulen unter dem Motto „Kämpfst Du noch oder erziehst Du schon? Mein Kind, sein Smartphone, meine (Mit-) Verantwortung“ gab interessante Einblicke und konkrete Handlungsempfehlungen.
Die Faszination des Digitalen
Der Lehrer Stefan Richter, der auch Präventionsbeauftragter am Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung und selbst Vater ist, stellte dar, warum Smartphones für Kinder und Jugendliche so anziehend sind. „Wir werden nie wieder in einer nicht-digitalen Welt leben“, erklärte Richter und machte damit deutlich, dass die Geräte ein Teil unseres Alltags und der sozialen Interaktion bleiben werden. Daher sei es umso wichtiger, den bewussten Umgang mit dieser Technologie zu fördern. Richters Ziel war es, Eltern über die derzeitigen Risiken, das Suchtpotenzial und die rechtliche Lage aufzuklären und aufzuzeigen, wie sie ihre Kinder schützen und begleiten können.
Helmut Hertnagel, Leiter der Zinzendorfrealschule und der Berufsfachschulen, schilderte, wie stark sich die Schulgemeinschaft durch Handys verändert hat. Ein Beispiel aus dem Alltag: Die Pause, früher ein Moment des Austauschs unter den Schülern, sei mittlerweile oft die ruhigste Zeit des Tages. „Alle greifen wie auf Kommando zu ihren Handys, um zu checken, wie viele Likes sie bekommen haben oder wer ihnen geschrieben hat“, berichtete Hertnagel. Diese Abhängigkeit von der digitalen Kommunikation gehe auf Kosten der persönlichen Begegnung. Das ist mit ein Grund, weshalb an den Zinzendorfschulen eine neu eingeführte Handy-Regelung besagt, dass Schülerinnen und Schüler der Klassen 5-11 während der gesamten Schulzeit Handys nur ausgeschaltet oder im Flugmodus bei sich tragen dürfen. Einzige Ausnahme ist die Mittagspause.
Digitale Verwahrlosung: Was, wenn Kinder ohne Kontrolle online sind?
Richter warnte vor „digitaler Verwahrlosung“, die entstehen könne, wenn Kinder ohne engmaschige Begleitung und zeitliche Begrenzung Zugang zu sozialen Medien und Internetinhalten haben. Er erzählte von einer achten Klasse, in der einige Schüler gewalttätige Videos gesehen hatten – die Folge war ein schwer traumatisiertes Kind. „Während es bei einer Naturdokumentation auch nach drei Stunden keine Spuren hinterlässt, kann der kurze Blick auf gewalttätige Inhalte lebenslange Folgen haben“, so Richter.
Eine weitere Gefahr sei der ständige Vergleich. „Kinder und Jugendliche vergleichen sich ständig mit anderen – oft zum eigenen Nachteil“, erklärte er. Diese negativen Selbstbilder könnten bis hin zu psychischen Problemen führen. In Tübingen sei die Klinik überfüllt mit Jugendlichen, die sich selbst als nicht „gut genug“ empfinden, weil sie sich in sozialen Medien mit vermeintlich schöneren, dünneren und besseren Gleichaltrigen vergleichen.
Radikalisierung und Cybergrooming: Gefahr im Netz
Richter betonte, dass Kinder ab der 7. Klasse zunehmend anfällig für Radikalisierungsversuche werden – ob politisch oder religiös motiviert. Besonders in der Pubertät, einer Phase voller Unsicherheiten und Orientierungssuche, sei die Suchtgefahr groß. Zudem berichtete er über Cybergrooming, also sexuelle Belästigung im Internet. An den Kaufmännischen Schulen in Villingen hätten laut einer Erhebung 80 Prozent der 16- bis 20-jährigen Schülerinnen solche Erfahrungen bereits gemacht.
Verantwortung der Eltern: Bindung, Autonomie und Kompetenz
Richter unterstrich, dass Eltern in ihrer Begleitung der Kinder drei Grundbedürfnisse im Blick behalten sollten:
– Das Bedürfnis nach Bindung: Stabile, offline-geführte Beziehungen in der Familie, zu Freunden und in Vereinen stärken Kinder und bieten einen realen Rückhalt, der sie auch online schützt.
– Das Bedürfnis nach Autonomie: Kinder wollen selbstständig Entscheidungen treffen – eine „lockere Leine“ ist daher oft zielführender als absolute Verbote.
– Das Bedürfnis nach Kompetenz: Kinder möchten reale Erfolge erleben. Während ein Pokal vom Sportverein sie auch nach Jahren an ihren Erfolg erinnert, verblassen Likes auf Social Media in wenigen Minuten.
Pädagogische Apps: Nicht alle sind förderlich
Richter warnte auch vor der unkritischen Nutzung pädagogischer Apps. Lernspiele sollten in Absprache mit der Schule gewählt werden und eine kognitive Aktivierung auslösen – das bloße „Durchklicken“ von Lerninhalten sei meist wenig wirksam.
In einer Welt, in der Kinder und Jugendliche frühzeitig mit digitalen Medien konfrontiert werden, ist es von zentraler Bedeutung, den richtigen Umgang damit zu lernen. Die Veranstaltung machte deutlich: Eltern und Schulen tragen eine gemeinsame Verantwortung, um Kinder und Jugendliche sicher und selbstbestimmt in die digitale Zukunft zu begleiten.