Die Gruppe aus Kiew kommt vom Gymnasium 315 mit erweitertem Fremdsprachenunterricht. Es ist eine große Schule mit gut 2000 Schüler*innen von der Grundschule bis zum Abschlussjahrgang. Gerade ändert sich das Schulsystem, so dass es zukünftig einen 12. Jahrgang geben wird.

Tetiana Radchenko, Lehrerin für Deutsch, war bereits häufiger in Deutschland. Vor der Pandemie unterhielt das Gymnasium 315 einen Austausch mit einer Schule in Sachsen-Anhalt. Dann kam Corona, darauf folgte der Krieg und der Austausch kam zum Erliegen. Sie war sehr angetan, als sie über die UNESCO Regionalkoordinatorin vom Recreation Projekt erfahren hatte. Sie sprach Familien in den 8. Klassen an, in denen sie hauptsächlich im Unterricht eingesetzt ist. „Für jeden ist ein Aufenthalt im Ausland ein echtes Geschenk, aber für meine Deutsch-Schüler*innen bedeutet es einen riesigen Motivationsschub. Ich kann ihnen viel über Deutschland, die Bundesländer und das Leben hier berichten, aber es selbst zu sehen kann ich nicht ersetzen. Es füllt die Lerninhalte aus den Büchern und das Erlernen einer Fremdsprache mit noch mehr Sinn.“

Wir unterhalten uns auf Englisch und Deutsch darüber, wie das Leben in der Ukraine und Kiew im Besonderen ist seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs. „Schule findet immer in Präsenz statt. Nur, wenn Unterricht durch Raketenalarm unterbrochen wird oder es wie zu Beginn Ausgangssperren gab, greifen wir auf unsere Lernplattform zurück, um Hausaufgaben zu geben um mit Eltern und Schüler*innen zu kommunizieren“, sagt Tetiana. „Insgesamt findet unser Leben im Standby statt“, ergänzt ihre Kollegin, Englischlehrerin Yuliia Klivak. „Wenn es Strom gibt, kochen und waschen wir, erledigen eben all das, wozu man Strom benötigt. Gibt es keinen Strom, müssen wir improvisieren. Das heißt dann auch in den Gebäuden viele, viele Treppen zu steigen, da der Lift nicht fährt. Und die Einkäufe in die 20. Etage zu tragen ist schon eine Herausforderung.“ Zu Beginn der Angriffe hatte Yuliia gemeinsam mit ihren Töchtern die Stadt verlassen und war für 6 Monate in Riga. „Aber mein Mann musste in der Ukraine bleiben, und unsere Arbeit war ja dort und überhaupt unser Leben. Deshalb sind wir wieder zurückgegangen. Wir versuchen, das Beste daraus zu machen. Im Freundes- und Bekanntenkreis und unter Kollegen unterstützen wir uns gegenseitig. Jeder braucht mal die Hilfe der anderen.“

Was bedeutet die Reise für die beiden und die Schüler*innen? „Sich persönlich zu begegnen, miteinander zu sprechen – das ist echte Friedensarbeit, es fördert das Verständnis füreinander“, davon ist Tetiana überzeugt. „Und jenseits davon, dass es den Horizont der Kinder und Jugendlichen erweitert, ist diese Reise eine wichtige, psychologische Pause für sie.“ Yuliia berichtet, dass die Schüler*innen nach dem langen Familienwochenende über den 3. Oktober sagten: „We cheer, we chill, we relax and we forgot to think about the alarms.”

Es ist eine unbeschwerte Zeit, die unsere Gäste in Marienau und mit den Marienauer Familien verbringen. Einige der Bilder entstanden in der Marienauer Lernküche. Die deutschen und ukrainischen Schüler*innen bereiteten gemeinsam ein großes Essen vor, zu dem die gastgebenden Familien eingeladen waren. Die Stimmung war ausgelassen und mit einem Sprachmix aus Deutsch, Englisch und Ukrainisch wurden Zutaten und Utensilien hin- und hergereicht. Viele der ukrainischen Kinder hatten einige Jahre Deutschunterricht in der Schule, alle sprechen gut Englisch, so dass die Verständigung bestens funktioniert.

Jule, Marienauerin in Jahrgang 12, ist sehr glücklich damit, sich am Recreation Project zu beteiligen. „Wir haben zwei Mädchen aufgenommen, und es ist total nett mit den beiden. Sie sind super freundlich, wir unterhalten uns viel und es ist für mich eine tolle Erfahrung, einfach ganz direkt etwas tun zu können.“